Vergleichende Wahlprogrammanalyse aus flüchtlingssolidarischer und rassismuskritischer Sicht

Am 4. September wird in Mecklenburg-Vorpommern der neue Landtag gewählt. Mit dem Ausgang der Wahl werden die politischen Weichen der nächsten fünf Jahre in unserem Bundesland gestellt. Es ist spürbar, dass einige Parteien während des Wahlkampfs ganz offen Stimmung gegen Geflüchtete machen und dabei auch nicht vor der Verbreitung populistischer Thesen zurückschrecken. Dies ist umso bedenklicher, da Asylsuchende und Migrant*innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit selbst nicht wählen dürfen und darauf angewiesen sind, dass die Parteien ihre Interessen dennoch angemessen vertreten und ihre politischen Wünsche berücksichtigen.

Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V. hat es sich deshalb zum Ziel gesetzt, den aktuell stattfindenden Landtagswahlkampf aus flüchtlingssolidarischer und rassismuskritischer Perspektive einzuschätzen. Im Zuge dessen haben wir die Wahlprogramme der CDU, SPD, B90/Grüne, Linke, FDP sowie der AfD und NPD hinsichtlich ihrer Positionen in den Bereichen Asyl, Migration und Integration analysiert.

Wir als Flüchtlingsrat agieren überparteilich und parteiunabhängig und wollen Ihnen deswegen keine Wahlempfehlung aussprechen. Dennoch bitten wir Sie von Ihrem Recht, wählen zu dürfen, Gebrauch zu machen und die Chance zu nutzen, im Rahmen dessen Einfluss auf die Politik nehmen zu können. Denn bedenken Sie, dass dieses Privileg den aktuell ca. 30.000 in Mecklenburg-Vorpommern lebenden Geflüchteten verwehrt bleibt.

Natürlich werden die politischen Inhalte, die die politischen Parteien in ihren Wahlprogrammen vertreten, nach der Wahl meist ein bisschen anders umgesetzt als angekündigt. Dies hängt häufig von dem endgültigen Wahlergebnis und möglichen Koalitionsgesprächen, in denen die beteiligten Parteien Kompromisse eingehen müssen, ab.

Deswegen lag es für uns nahe, die Wahlprogramme der verschiedenen Parteien zu analysieren und dabei die migrationspolitischen Grundaussagen zu bewerten. Diese Grundaussagen entsprechen gleichzeitig den Forderungen, die wir als Flüchtlingsrat an die Politik haben und deren Umsetzung den Geflüchteten und Migrant*innen ein gleichberechtigtes Leben in Mecklenburg-Vorpommern ermöglichen sollen.

Alle weiteren Ergebnisse unserer Analyse haben wir vergleichend in Form einer Tabelle zusammen gefasst, die auf unserer Homepage zum Download für Sie bereit steht. Dort finden Sie außerdem Dokumente mit den einzelnen Ergebnissen, die je Partei für Sie aufgeschlüsselt und mit dem genauen Wortlaut aufbereitet wurden. Die vollständigen Wahlprogramme sind auf den Internetseiten des Landesverbands der jeweiligen Partei einzusehen.

Übersicht zu den Wahlprogrammen der CDU, SPD, Die Linke, B90/Die Grünen, FDP, NPD, AfD.

Vergleichende Übersicht der migrationspolitischen Ansätze der Parteien

🙂 = Zustimmung // 🙁 = Ablehnung // :/ = vage Antwort // ? = Thema wird nicht angesprochen.


Hier finden Sie die Tabelle als pdf zum Download.

Vergleichende Übersicht der wichtigsten migrationspolitischen Themenbereiche

Zugang zum Arbeitsmarkt

So unterschiedlich die Parteien sind, so unterschiedlich sind auch ihre Einstellungen zu den Bereichen Flucht und Asyl, Migration und Integration. Bei der Forderung, den Geflüchteten den Zugang zum Arbeitsmarkt möglich zu machen, herrscht noch eine relative Einigkeit. Bis auf die AfD, die dieses Thema in ihrem Wahlprogramm ausspart, geben einzig die CDU und NPD eine vage Auskunft. Alle anderen Parteien, also die SPD, B90/Grüne, Linke und FDP, stimmen dieser Forderung eindeutig zu.

Zugang zu Sprachkursen

Ein etwas anderes Bild zeigt sich jedoch bei der Forderung, Geflüchteten den Zugang zu Deutsch-Sprachkursen ab dem ersten Tag ihres Aufenthalts zu ermöglichen. Während B90/Grüne und die Linkspartei dieser Forderung in ihren Wahlprogrammen zustimmen, gibt die FDP darauf eine vage Auskunft. Die Parteien CDU, SPD, AfD und NPD lassen dies in ihren Wahlprogrammen erstaunlicherweise unbeantwortet.

Dezentrale Unterbringung

Unsere Forderung, die Unterbringung geflüchteter Menschen dezentral in Wohnungen zu gestalten und derjenigen in Gemeinschaftsunterkünften vorzuziehen, stimmt lediglich die Linke ausdrücklich zu. Die SPD gibt in ihrem Wahlprogramm darauf eine vage Auskunft. Die FDP steht dem stattdessen ablehnend gegenüber. Alle anderen Parteien sprechen das Thema in ihren Wahlprogrammen nicht an.

Krankenkassenkarte für Asylsuchende

Die Forderung, eine Krankenkassenkarte für Geflüchtete und Geduldete in Mecklenburg-Vorpommern einzuführen, wurde vor allem im Jahr 2015 stark diskutiert. Während dies in Bremen und Hamburg bereits vor Jahren umgesetzt wurde, haben mittlerweile auch Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Berlin damit begonnen, elektronische Gesundheitskarten an Flüchtlinge auszugeben. Dafür, diese Praxis auch in MV einzuführen, sprechen sich nur B90/Grüne und die Linkspartei in ihren Wahlprogrammen aus. Die CDU, SPD, FDP und AfD thematisieren dies in ihren Wahlprogrammen nicht und die NPD gibt lediglich eine vage Antwort.

Abschiebungen stoppen

Das wohl überraschendste Ergebnis zeigt sich bei unserer Forderung Abschiebungen zu vermeiden, der lediglich B90/Grüne ausdrücklich in ihrem Wahlprogramm zustimmen. Während Die Linke dazu eine vage Position bezieht, wird dies durch die anderen Parteien in ihren Wahlprogrammen abgelehnt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass CDU, SPD, FDP, AfD und NPD die Durchführung von Abschiebungen laut ihrer Wahlprogramme befürworten. Es ist erstaunlich, wenn sich Parteien, die doch eine so unterschiedliche politische Bandbreite vertreten, ausgerechnet in diesem Punkt einig sind. Ob dies der Zeit des Wahlkampfs geschuldet ist und dem Versuch, dadurch Stimmen von Flüchtlingsgegner*innen zu gewinnen, bleibt genauso offen wie der endgültige Ausgang der Landtagswahl.

Die Auswertung wurde von Rena Sakowski unter anderem auf folgenden Grundlagen erstellt:
Irene Berres (22.03.2016): Bürokratie-Wahnsinn: So werden Flüchtlinge medizinisch versorgt, Spiegel Online, http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/fluechtlinge-so-laeuft-die-medizinische-versorgung-a-1081702.html.
Sandra Brunsbach, Stefanie John, Andrea Volkens u. Annika Werner (2011): Wahlprogramme im Vergleich, in: Jens Tenscher (Hrsg.): Superwahljahr 2009 – Vergleichende Analysen aus Anlass der Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 41 – 64.
Ralf Schmitt (2008): Die politikfeldspezifische Auswertung von Wahlprogrammen am Beispiel der deutschen Bundesländer. Arbeitspapiere – Working Papers, Nr. 114/2008, Mannheim: Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung.