Anhören statt Abschieben

Pressemitteilung vom 4. Dezember 2012

Flüchtlingsrat kritisiert die Praxis verweigerter Asylverfahren bei Roma aus Serbien und Mazedonien
Der Flüchtlingsrat MV e. V. kritisiert den Umgang mit neu einreisenden Roma aus Serbien und Mazedonien scharf und fordert die ordnungsgemäße Durchführung von Asylverfahren.
In den vergangenen Wochen waren immer wieder Flüchtlinge aus Serbien und Montenegro bereits vor der Anhörung in ihr Herkunftsland gefahren worden. Dem war in mehreren Fällen nach einem „beratenden“ Gespräch die Unterzeichnung einer Erklärung der „freiwilligen“ Ausreise vorausgegangen, weil den Flüchtlingen erklärt wurde, sie hätten keine Aussicht auf Asylanerkennung oder einen Aufenthalt in Deutschland. Würden sie nicht unterzeichnen würden sie abgeschoben. Im Falle einer Abschiebung hätten sie dann mit einem Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland zu rechnen. Dabei fand in vielen Fällen nicht einmal die im Asylverfahren vorgesehene Anhörung statt. Einen Ablehnungsbescheid erhielten die Flüchtlinge nicht.
In diesem Zusammenhang sind Aussagen über so genannte „Wirtschaftsflüchtlinge“, über „Asylmissbrauch“ und „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ völlig ungerechtfertigt, denn die Menschen konnten ihre Fluchtursachen ja nicht einmal schildern. Die genannten Vorwürfe sind also faktisch eine allgemeine Zuschreibung aufgrund von Vorfestlegungen.
Nach § 60 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben wer-den, in dem sein Leben aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bedroht ist. Hierunter fallen auch die nichtstaatliche Verfolgung und die Bedrohung von Leib und Leben.
Wer nachweisen kann, dass ihm im Herkunftsland eine schwerwiegende Gefahr droht, muss in Deutschland Schutz erhalten. Nach Auffassung des Flüchtlingsrates ist jeder Einzelfall zu prüfen. Dies ist ohne Anhörungen unmöglich. Das derzeitige Vorgehen ist de facto eine Aushöhlung des Rechts.
Der Flüchtlingsrat MV fordert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf, diese das Asylrecht einschränkende Praxis aufzugeben und allen Menschen, die um Asyl ersuchen, den Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewähren.
Der überwiegende Teil der Flüchtlinge aus den Balkanländern gehört zur Volksgruppe der Roma. Der Umgang mit den Roma aus Serbien und Mazedonien ignoriert dabei die Situation in den Herkunftsländern und damit die Fluchtursachen. Nach Aussagen der serbischen Regierung und der EU ist die Situation der Roma in Serbien und Mazedonien äußerst prekär. 30% der rund 500.000 Roma in Serbien haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, 70% leben ohne Abwasserbeseitigung durch Kanalisation. Nach Umfragen sind sie die am meisten diskriminierte Bevölkerungsgruppe. Ihnen werden vielerorts elementare Menschenrechte vorenthalten wie der Zugang zu Bildung, Ausbildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung.

Hintergrund:
In Deutschland gibt es drei Möglichkeiten, im Rahmen eines Asylverfahrens zu einem rechtmäßigen Aufenthalt zu kommen:
1. Die Anerkennung nach Artikel 16a GG: „Politisch Verfolgte genießen Asyl“.
2. Die Anerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention: Danach findet der Begriff „Flüchtling“ Anwendung auf jede Person (Auszug), die „…aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.“
3. Das Verbot der Abschiebung nach § 60 AufenthG: Danach (Auszug) „darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.“ Hierunter fallen u. a. auch nichtstaatliche Verfolgung, geschlechtsspezifische Verfolgung, das Drohen von Folter und Todesstrafe sowie Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit.
Gesetzestexte im Wortlaut und Erläuterungen: www.aufenthaltstitel.de

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