Flüchtlingsräte fordern bessere Standards und eine Einbeziehung auch von NGOs
Die Ampel-Koalition hat einen Entwurf zur Einführung einer bundesweiten behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung vorgelegt.
Die Landesflüchtlingsräte kritisieren die Pläne der Bundesregierung und fordern ihre grundlegende Nachbesserung.
Ulrike Seemann-Katz erklärt dazu: „Die Pläne der Bundesregierung sind nicht geeignet, eine fachkundige Beratung von Geflüchteten im Asylverfahren zu gewährleisten. Sie sind unzureichend finanziert und lassen zivilgesellschaftlichen Organisationen die Kosten für die Umsetzung einer staatlichen Aufgabe tragen. Zudem schließen die Pläne NGOs, die über langjährige Expertise in der Arbeit mit Geflüchteten verfügen, grundsätzlich von einer Beteiligung an der Asylverfahrensberatung aus und benachteiligen sie dadurch gegenüber den Wohlfahrtsverbänden.“
Die Landesflüchtlingsräte fordern die Bundesregierung auf, ihre Pläne wie folgt nachzubessern:
1. Einbeziehung von NGOs
Nach Vorstellungen der Bundesregierung sollen ausschließlich die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrt berechtigt sein, Förderanträge für die Asylverfahrensberatung zu beantragen. Das benachteiligt ohne sachlichen Grund die Zivilgesellschaft, so z.B. Flüchtlingsräte, deren Arbeit vor allem auf die Arbeit mit schutzsuchenden Menschen ausgerichtet ist und deren langjährige Expertise in der Asylberatung somit ungenutzt bleibt. Im Kontext des hier angewendeten Subsidiaritätsprinzips müssen deshalb alle für diese Rechtsdienstleistung geeigneten Träger, v.a. NGO und MSO einen gleichberechtigten Zugang zur Förderung haben.
2. Angemessene Finanzierung
Umfang und Ausrichtung der Aufgabenstellungen in der Asylverfahrensberatung entsprechen dem Grunde nach einer Rechtsdienstleistung. Zwar erkennt die Bundesregierung an, dass eine Asylverfahrensberatung auch eine Rechtsdienstleistung sein kann – die Vergütung des Personals soll jedoch maximal nach TVöD 9c erfolgen. Damit widerspricht die aktuelle Eingruppierung in eklatanter Weise den tarifrechtlichen Regelungen. Als Orientierungsgröße für die Dotierung der Stellen muss – entsprechend der mit ihr verbundenen Anforderungen – mindestens TvöD 12 herangezogen werden.
3. Vollständige Finanzierung
Die Ampel-Koalition verlangt von den Trägern der Asylverfahrensberatung, dass diese 10% der entstehenden Kosten aus eigenen Mitteln finanzieren. Da die Bundesregierung jedoch mit der Asylverfahrensberatung eine staatliche Verpflichtung aus der EU-Aufnahmerichtlinie umsetzt, sind die im Rahmen der Asylverfahrensberatung entstehenden Kosten vollständig vom Bund zu übernehmen.
4. Asylverfahrensberatung auch an Flughäfen
Die Bundesregierung muss auch an Flughäfen, an denen Asylanträge im sog. Flughafenverfahren geprüft werden (derzeit Berlin-Brandenburg, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg und München) eine Asylverfahrensberatung für Asylsuchende implementieren, um ihren Verpflichtungen aus der EU-Verfahrensrichtlinie vollumfänglich nachzukommen.
5. Eigenständiges Förderprogramm für die Identifizierung vulnerabler Geflüchteter
Für die Asylverfahrensberatung von Geflüchteten, die aufgrund ihrer Vulnerabilität besonders schutzbedürftig sind, sollen insgesamt 10% der vorgesehenen Mittel verwendet werden. Wie die Beratung von vulnerablen und nichtvulnerablen Personen in der Praxis voneinander abgegrenzt werden soll, bleibt unklar.
Die Identifizierung von Vulnerablen ist nicht nur für das Asylverfahren, sondern auch für Fragen einer angemessenen Unterbringung und Unterstützung im Alltag von entscheidender Bedeutung. Daher sollte für diesen Zweck ein eigenes Förderprogramm aufgelegt werden. Im Rahmen der Asylverfahrensberatung sollten ohne eine feste Quote auch Träger gleichberechtigt einbezogen werden, die sich auf die Beratung von vulnerablen Geflüchteten spezialisiert haben.
Hintergrund:
Die Einführung einer Rechtsgrundlage für eine vom Bund finanzierte Asylverfahrensberatung ist im Entwurf eines „Gesetzes zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren“ als §12a Asylg -E vorgesehen. Der Entwurf wurde nach der ersten Lesung im Bundestag an den federführenden Ausschuss abgegeben und soll zum Jahresende verabschiedet werden. Begleitend hat die Bundesregierung ein Konzept sowie den Entwurf für ein Merkblatt und eine Interessensbekundung entwickelt.
Mit der Asylverfahrensberatung setzt die Bundesregierung die sich aus Art. 19 Asylverfahrensrichtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten um, „dass den Antragstellern auf Antrag unentgeltlich rechts- und verfahrenstechnische Auskünfte erteilt werden; dazu gehören mindestens Auskünften zum Verfahren unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Antragstellers“. Diese staatliche Aufgabe setzt die Bundesregierung um, indem sie auf Grundlage des Subsidiaritätsprinzips die Wohlfahrtsverbände mit der Umsetzung der Asylverfahrensberatung beauftragt. Für 2022 sind fünf Millionen Euro im Haushalt eingeplant, für 2023 sind es 20 Millionen. In der Folgezeit soll die Asylverfahrensberatung eine flächendeckende Versorgung mit Asylverfahrensberatung gewährleisten, wobei die Bundesregierung davon ausgeht, dass im Schnitt 60% aller Asylsuchenden eine Beratung aufsuchen wollen. Unter Zugrundelegung von 180 Asylsuchenden pro Beratungsstelle berechnet die Bundesregierung daraus einen Bedarf von bundesweit 700 benötigten Vollzeitstellen und Kosten in Höhe von bis zu 80 Millionen Euro. Die Beratung umfasst auch Zweit- und Folgeanträge sowie Widerrufsverfahren.