PRO ASYL und Flüchtlingsräte kritisieren Konzept der AnKER-Zentren als Absage an Willkommenskultur

Pressemitteilung

Mit Empörung reagieren PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer auf die jüngst bekannt gewordenen Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer, der ein Netz von Lagern zur Unterbringung und Ausgrenzung von Asylsuchenden in ganz Deutschland etablieren will (siehe NOZ von heute). Damit wird das bayerische Modell einer landesweiten Isolation von Geflüchteten zur staatlichen Norm erhoben. In Schnellverfahren soll mit Asylanträgen im wahrsten Sinne des Wortes »kurzer Prozess« gemacht werden. Nicht einmal die in der Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und SPD verabredete Einführung einer unabhängigen Verfahrensberatung ist nach den aktuellen Plänen der Bundesregierung noch vorgesehen. Dabei hatte das BAMF noch im September 2017 in seinem Evaluationsbericht, der offenbar vom BMI bewusst noch nicht veröffentlicht wurde, eine positive Bilanz gezogen und eine flächendeckende Einführung der unabhängigen Asylverfahrensberatung empfohlen (siehe Evaluationsbericht Asylverfahrensberatung).

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte fordern die Bundesländer auf, dem Beispiel Schleswig-Holsteins und einiger anderer Bundesländer zu folgen und dem Lagerkonzept des Bundesinnenministers eine kategorische Absage zu erteilen. Die langfristige Unterbringung in solchen – mit Stacheldraht gesicherten – Massenunterkünften führt zu einer Stigmatisierung der Menschen, die in ihnen leben. Sie werden vom Kontakt zur hier lebenden Bevölkerung quasi ausgeschlossen. Deutschland entwickelt sich vom Integrations- zum Ausgrenzungsland. Wer es ernst meint mit der Integration von Geflüchteten von Anfang an, darf die Menschen nicht 18 Monate lang in Lagern isolieren und so von Integrationsangeboten – Sprachkursen, Anerkennung von Zeugnissen, Qualifikation und Arbeitsmarktintegration etc. – fernhalten, warnen PRO ASYL und Flüchtlingsräte. Derzeit sehen PRO ASYL und die Flüchtlingsräte die Gefahr, dass in Deutschland die Fehler der 80er und 90er Jahre wiederholt werden, als man schon einmal darauf gesetzt hat, bestimmte Gruppen wie etwa die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon durch eine möglichst schäbige Behandlung und Ausgrenzung in Lagern zu zermürben und zur »freiwilligen Ausreise« zu drängen. Dieses Konzept ist gescheitert, aber es hat vielen Flüchtlingen psychische Schäden zugefügt und die Kosten einer nachträglichen Integration in die Höhe getrieben.

Für vollkommen indiskutabel halten PRO ASYL und die Flüchtlingsräte auch das vom BMI angestrebte 48-Stunden-Schnellverfahren. Eine vernünftige Vorbereitung und Beratung von Asylsuchenden ist in einer solchen kurzen Frist nicht machbar. Um Asylsuchende auf das Asylverfahren und vor allem die Anhörung vorzubereiten, braucht es zunächst Zeit! Eine qualifizierte Beratung verlängert die Verfahren zwar um wenige Tage, trägt aber zu einer erheblichen Steigerung der Effizienz und Qualität der Anhörungen bei. Diese Zeit will das BMI den Betroffenen aber nicht einräumen. Die vom BMI vorgesehene Information durch Mitarbeitende des BAMF gewährleistet kein faires Asylverfahren und ist nur ein Feigenblatt.

Leidtragende des Lagerkonzepts des Bundesinnenministers sind insbesondere geflüchtete Kinder und Jugendliche. 45 Prozent der Geflüchteten in Deutschland sind minderjährig. Zugang zu elementaren Kinderrechten wie Bildung, Teilhabe und Schutz bleiben verwehrt. Schon jetzt werden Flüchtlingskinder aus so genannten »sicheren Herkunftsländern« oftmals nicht mehr auf die Kommunen verteilt und bleiben in Einzelfällen ein Jahr und länger ohne Schulunterricht in Deutschland. Auch die Erstunterbringung und Alterseinschätzung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten soll in diesen Lagern für Erwachsene – statt wie bisher im Rahmen und in den Standards der Kinder- und Jugendhilfe – stattfinden. Dies stellt eine staatlich verantwortete Gefährdung des Kindeswohls dar. Der Vorrang der Kinder- und Jugendhilfe für junge Flüchtlinge würde damit faktisch abgeschafft.

Hintergrund:

Nach Informationen von PRO ASYL und Flüchtlingsräten will der Bundesinnenminister Ende Mai sein Konzept vorstellen. Informationen hierzu wurden aber informell schon mitgeteilt. Zunächst sollen fünf Pilotprojekte implementiert werden, im Gespräch sind Standorte in Bayern (Bamberg), Nordrhein-Westfalen (Münster), Hessen (Gießen) und Niedersachsen (Fallingbostel und Bramsche). Sachsen und Sachsen-Anhalt haben sich um Aufnahme in die Liste der fünf Modellprojekte beworben. Dem Konzept zufolge sollen die Zentren jeweils 1000 bis 1500 Personen aufnehmen können. Voraussetzung sei ein »integriertes Rückführungsmanagement« vor Ort. Durch Chipkarten, über die jedes Verlassen des Lagers registriert werde, soll eine Kontrolle der Geflüchteten erfolgen. Da die Anhörung innerhalb von 48 Stunden erfolgen soll, ist eine unabhängige Verfahrensberatung im Konzept bislang nicht vorgesehen. Das BMI denkt derzeit allenfalls über eine Beratung »über BAMF-MitarbeiterInnen« nach. Flüchtlinge, die unter die Dublin-Verordnung fallen könnten, sollen separiert und in speziellen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Mittelfristiges Ziel des BMI ist es, 40 AnKER-Zentren bundesweit zu errichten.

Das Konzept funktioniert nach Auffassung von Fachleuten nicht, weil es den Behörden nicht gelingt, die Asylverfahren innerhalb von drei Monaten rechtsstaatlich abzuschließen. Dies erklärt wohl die haltlosen Angriffe von Alexander Dobrindt gegen die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes.Nur dank der Justiz und der Arbeit von Rechtsanwält*innen und Unterstützer*innen gelingt es, in rund der Hälfte aller Fälle erfolgreich gegen fehlerhafte Asylbescheide zu klagen. Offenkundig verfolgt die Bundesregierung deshalb die Zielsetzung, ein faires Asylverfahren und eine unabhängige Asylverfahrensberatung in den geplanten Aufnahmelagern gar nicht zuzulassen.