Unterbringung ist nicht alles

Pressemitteilung zur Landespressekonferenz, 5.8.2014

Flüchtlingsrat fordert mehr Engagement des Landes bei der Integration von Menschen

Größte Probleme des Landes sind nach Ansicht des Flüchtlingsrates nicht die steigenden Flüchtlingszahlen sondern die nach wie zuvor lückenhaften bzw. gänzlich fehlenden Integrationsmaßnahmen für Menschen mit ungesichertem Aufenthalt. Durch die Nicht-Integration bzw. Ausgrenzung werden Kosten für die Zukunft produziert.

Ein großer Teil der Asylsuchenden wird auch seitens des zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als schutzbedürftig anerkannt: Bei den im ersten Halbjahr 2014 durch das BAMF getroffenen Fallentscheidungen wurde bei rund 30 Prozent ein Schutzstatus zuerkannt. Da ein Teil der Asylverfahren von Asylsuchenden mit hohen Anerkennungschancen derzeit auf die lange Bank geschoben werden, ist davon auszugehen, dass fast jeder zweite Asylsuchende in Deutschland Schutz erhält. Bereits die Tatsache, dass ein Großteil der Schutzsuchenden bleiben wird, legt die Schlussfolgerung nahe: Integration vom ersten Tag an ist sinnvoll – für die Flüchtlinge wie die deutsche Gesellschaft.

Dazu müssen aus Sicht des Flüchtlingsrates die Integrationsstrukturen des Landes gestärkt werden. Denn Mecklenburg-Vorpommern hat weder eine_Integrationsbeauftragten noch ein Integrationsministerium.

Als landesweit größte Lücken bzw. Fehlstellen seien beispielhaft genannt:

Sprach- und Kulturmittlung

Seit langem fordert der Flüchtlingsrat die Einrichtung eines landesweiten Dolmetscherpools in Form einer Datenbank, die für den ländlichen Raum auch telefonisches Dolmetschen ermöglicht.

Die Rechtsansprüche auf Dolmetscherleistungen sind sehr unterschiedlich geregelt und greifen insbesondere in der sozialen Beratung, Betreuung und Begleitung zu kurz.

Immer noch kommt es vor, dass schulpflichtige Kinder vormittags beim Arztbesuch oder Behördengang für die Eltern dolmetschen müssen und ihren Unterricht versäumen. Zudem sind die jeweiligen Communities nach Sprachraum und Herkunftsländern in Mecklenburg-Vorpommern so klein, dass viele Landsleute einander kennen. Hier kommt es immer wieder entweder zu Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht oder zu fehlendem Vertrauen in die Dolmetscher.

Der Dolmetscherpool käme nicht nur Flüchtlingen, sondern allen Migrantinnen und Migranten in Mecklenburg-Vorpommern zugute. Auch der Tourismus könne davon profitieren. Aufgenommen werden könnten in einen solchen Pool in Form einer Datenbank sowohl beeidigte als auch ehrenamtliche Dolmetscherinnen und Dolmetscher oder auch Migrantinnen und Migranten mit einem „Dolmetsch-Führerschein“.

Aber auch in der Verfügbarkeit von Dolmetscherleistungen in einzelnen Sprachen gibt es in Mecklenburg-Vorpommern Engpässe. So ist es beispielsweise derzeit so gut wie unmöglich Dolmetscher_innen für Tigrinya, eine der Hauptsprachen Eritreas, zu bekommen.

Deutsch- bzw. Alphabetisierungskurse

Flüchtlinge im Verfahren und Geduldete haben weiterhin keinen Rechtsanspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs. Als Selbstzahler dürften sie – wenn freie Plätze vorhanden sind – für 650.- Euro an einem solchen Kurs teilnehmen. Bei Asylbewerberleistungen, bei denen nach wie zuvor weniger ausgezahlt wird als bei Hartz IV und Sozialhilfe, und andererseits hohen Rechtsanwaltskosten für das Betreiben des Asylverfahrens, kommt diese Lösung fast nie in Betracht.

Zwar haben die Gemeinschaftsunterkünfte laut Richtlinie auch die Aufgabe der Vermittlung einfacher Deutschkenntnisse, diese Aufgabe wird aber nur unzureichend umgesetzt. Nicht in allen Unterkünften gibt es Deutschkurse oder diese werden nicht von dafür ausgebildeten Pädagog_innen gehalten. Alphabetisierung findet nicht statt. Dezentral untergebrachte Flüchtlinge werden so gar nicht erreicht.

Die noch bis zum Jahresende geplanten ESF-gefördeten Kurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind praktisch ausgebucht. Wie es in 2015 weitergeht, ist unklar. Klar ist nur, dass ab 2015 Menschen, die dem Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen als Teilnehmer_innen ausgeschlossen werden sollen.

Beschulung von Kindern und Jugendlichen

Wer als Kind oder Jugendlicher mit oder ohne Eltern als Flüchtling nach Mecklenburg-Vorpommern kommt, unterliegt der Schulpflicht. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es leider in der letzten Zeit gehäuft Fälle, in denen Flüchtlingskinder nicht beschult werden.

Als Gründe werden durch Schulen und Schulämter u. a. angeführt, es gebe keine Kapazität an den Schulen, geeignete Lehrkräfte fehlten, die Sprachförderung könne nicht geleistet werden.

Zumindest in den Orten, in denen seit mehr als einem Jahr Flüchtlinge untergebracht werden, war es jedochschon vor Beginn des letzten Schuljahres klar, dass auch weiterhin Familien mit Kindern hinzuziehen werden. Mindestens an diesen Orten müsste eigentlich ausreichend Personal vorgehalten werden können. Grundsätzlich sollte es aber auch flexibel möglich sein auf Zuzüge zu reagieren. Es ziehen ja auch deutsche Kinder mit oder ohne besondere Förderbedarfe zu. Diese werden in der Regel nicht einfach abgelehnt.

Die Beurteilung der neu hinzugezogenen Kinder ist aus Sicht des Flüchtlingsrates nicht sachgerecht. Um beurteilen zu können, ob ein Kind in der Schule zurechtkommen wird, müssten diese Kinder persönlich begutachtet werden. Das muss aus zwingend unter Hinzuziehung eines Dolmetschers erfolgen.

Der Flüchtlingsrat fordert: Wenn in Ausnahmefällen keine geeignete Schule gefunden werden kann, so sollten die Ablehnung und die Begründung schriftlich erfolgen, so dass es den Flüchtlingen möglich wird Widerspruch gegen die Entscheidung einzulegen.

Im Sekundarbereich II gibt es darüber hinaus das Problem, dass es in Mecklenburg-Vorpommern zu wenige Möglichkeiten gibt, weiter zu lernen.

Das Abendgymnasium in Schwerin beispielsweise fordert als Zugangsvoraussetzungen neben dem Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse u.a. den Nachweis einer zweijährigen Berufstätigkeit. Dies können 18-jährige aus Krisengebieten Geflüchtete so gut wie niemals nachweisen.

Die Berufsschulpflicht wird für neu angekommene Flüchtlinge gar nicht durchgesetzt.

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